Ausgabe 1/2018, Februar

WIdO-Themen

Qualitätsmonitor 2018: Sterblichkeit sinkt in Kliniken mit vielen Operationen

Welche Auswirkungen hat eine mangelnde Operationsroutine bei komplexen Krebs-Operationen? Dieser Frage widmet sich der Qualitätsmonitor 2018, der vom Verein Gesundheitsstadt Berlin, der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) und dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) herausgegeben wird.

Krankenhäuser, die über viel Erfahrung mit komplexen Lungenkrebs-Operationen verfügen, haben eine deutlich kleinere Sterblichkeitsrate als Kliniken, die solche Eingriffe nur selten durchführen. Zu diesem Ergebnis kommen Hans Hoffmann und seine Ko-Autoren im aktuellen Qualitätsmonitor auf der Basis deutscher Krankenhaus-Abrechnungsdaten von 2015. Demzufolge verstarben in Kliniken mit maximal 75 Lungenkrebs-Operationen pro Jahr 4,1 Prozent der betroffenen Patienten. In Krankenhäusern mit mehr als 75 dieser Eingriffe lag das Sterberisiko hingegen bei lediglich 2,5 Prozent. Diese aktuellen Ergebnisse bestätigen erneut den signifikanten Zusammenhang zwischen höherer Fallzahl und niedrigerer Krankenhaussterblichkeit, den bereits zahlreiche internationale Studien festgestellt haben.

Dr. Simone Wesselmann, Bereichsleiterin Zertifizierung bei der Deutschen Krebsgesellschaft, spricht sich deshalb für die Einführung einer verbindlichen jährlichen Mindestmenge von 75 Lungenkrebs-Operationen aus, um eine ausreichende Behandlungserfahrung sicherzustellen. Denn obwohl es sich bei einer Lungenkrebs-OP in der Regel um einen planbaren Eingriff handelt, finden in Deutschland noch immer zu viele Operationen in Kliniken mit geringer Behandlungserfahrung statt. So entfielen im Jahr 2015 insgesamt 43 Prozent der 11.614 Lungenkrebs-OPs auf 271 Kliniken, die höchstens 75 dieser Eingriffe durchführten. Somit unterschritten rund 85 Prozent aller behandelnden Kliniken die quantitativen  Mindestanforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft. Da diese Kliniken dementsprechend nicht zertifiziert werden, unterliegen sie auch nicht der regelmäßigen Kontrolle weiterführender Qualitätskriterien, die für zertifizierte Lungenkrebs-Zentren gelten. Diese Kriterien sollen für die betroffenen Krebspatienten eine qualitätsgesicherte Behandlung gewährleisten. Weitere Studienergebnisse im Qualitätsmonitor zeigen: Nicht nur Lungenkrebspatienten würden von wissenschaftlich errechneten Mindestmengen profitieren. So werteten Ulrike Nimptsch und Thomas Mansky anhand von Krankenhausabrechnungsdaten 20 Behandlungsanlässe mit einem nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Fallzahl und Krankenhaussterblichkeit aus. Für diese Behandlungsanlässe – darunter verschiedene Krebsoperationen – zeigen die Autoren, dass durch Mindestmengen eine relevante Anzahl an Todesfällen pro Jahr vermieden werden könnte.

Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung am Wissenschaftlichen Institut der AOK

„271 deutsche Kliniken haben zu geringe Fallzahlen und können deshalb die Zertifizierungsanforderungen der Krebsgesellschaft nicht erfüllen.“

Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung am Wissenschaftlichen Institut der AOK

Freie Kassenwahl: Beamte sind gute Risiken für die GKV

Hamburger Beamte bekommen bei der Wahl ihrer Krankenversicherung mehr Wahlfreiheit.

Ende 2017 hat der Hamburger Senat beschlossen, dass sich Beamte der Hansestadt künftig unter bestimmten Bedingungen ohne finanzielle Nachteile in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichern können. Ab August 2018 können sie sich bei der Wahl einer gesetzlichen Krankenkasse ihren Beihilfeanspruch als Pauschale in Höhe des Arbeitgeberbeitrags auszahlen lassen.

In den Sondierungsgesprächen zu einer Jamaika-Koalition soll ein solches Modell auch für den Bund diskutiert worden sein. Die Union hatte dabei vor möglichen Zusatzbelastungen für die GKV gewarnt, sollten vor allem „kleine Beamte“ von dem Wahlrecht Gebrauch machen.

In Bezug auf deren Einkommenssituation ist diese Sorge jedoch unbegründet. Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt, dass privatversicherte aktive Beamte im einfachen und mittleren Dienst 2015 im Durchschnitt ein monatliches Bruttogehalt von 2.928 Euro bezogen. Damit lagen sie fast 20 Prozent über dem mittleren Bruttoarbeitsentgelt aller Erwerbstätigen in der GKV. Im Vergleich zu den mittleren beitragspflichtigen Einnahmen aller GKV-Mitglieder liegen die Einnahmen sogar mehr als 50 Prozent höher. Demzufolge waren selbst kleine und mittlere Beamte also ausgesprochen gute Risiken für die GKV.

Heilmittelbericht 2017: Frauen häufiger in physiotherapeutischer Behandlung

Zwischen Männern und Frauen gibt es deutliche Unterschiede bei der Inanspruchnahme von Physiotherapie. Das ist ein zentrales Ergebnis im kürzlich veröffentlichten Heilmittelbericht 2017.

Rund 4,5 Millionen AOK-Versicherte haben 2016 eine Physiotherapie erhalten, nicht ganz zwei Drittel davon waren weiblich (63 Prozent). In der Gruppe der 50- bis 54-Jährigen zeigt sich der deutlichste Unterschied: Während 28,6 Prozent der Frauen in dieser Teilgruppe eine Physiotherapie machten, waren es bei den Männern gerade mal 17 Prozent.

In der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung haben Ärzte 44 Millionen Verordnungen für Heilmitteltherapien ausgestellt, davon 15,8 Millionen an AOK-Versicherte. Von den 5,06 Millionen AOK-Versicherten, die 2016 eine Heilmitteltherapie verordnet bekamen, wurden gut 88 Prozent mit einer Physiotherapie behandelt. Das sind 17,5 Prozent aller AOK-Versicherten. Sprachtherapie (6 Prozent), Ergotherapie (6,6 Prozent) und die podologische Behandlung (7,4 Prozent) konzentrieren sich hingegen jeweils auf wenige Altersgruppen.

Für den Heilmittelbericht 2017 hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) die über 37,4 Millionen Heilmittelrezepte analysiert, die im Jahr 2016 für die rund 71,4 Millionen GKV-Versicherten ausgestellt wurden.

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Analysen – Schwerpunkt: Morbi-RSA

Risikostrukturausgleich und Wettbewerb: zwischen den Gutachten

Klaus Jacobs, Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin

Zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung liegt seit Herbst 2017 das wissenschaftliche Gutachten eines Expertenbeirats vor, der vom Bundesgesundheitsministerium mit der Evaluation des morbiditätsorientierten  Risikostrukturausgleichs beauftragt wurde. Im Frühling 2018 wird der Beirat ein zweites Gutachten vorlegen, in dem speziell Fragen des Umgangs mit Regionaldimensionen analysiert werden. Vor diesem Hintergrund wird der aktuelle Stand der Reformdebatte reflektiert. Dabei wird deutlich, dass eine isolierte Betrachtung des Risikostrukturausgleichs zu kurz springt und vielmehr das gesamte Wettbewerbskonzept der gesetzlichen Krankenversicherung eine grundlegende Revitalisierung benötigt.

Regionale Variationen von Leistungsausgaben und -inanspruchnahmen

Hans-Dieter Nolting, IGES Institut, Berlin

Im Zusammenhang mit der Diskussion über eine mögliche Veränderung der GKV-Finanzarchitektur durch Einführung eines Regionalfaktors, der regionale Über- und Unterdeckungen ausgleichen und damit Verzerrungen des Kassenwettbewerbs abmildern soll, stellt sich die Frage, welche Forschungsergebnisse zur Relevanz und zu den Ursachen von regionalen Ausgabenunterschieden vorliegen. Nahezu alle Untersuchungen bestätigen, dass ein erheblicher Anteil der beobachteten regionalen Variationen bei Ausgaben beziehungsweise Inanspruchnahme bestimmter Gesundheitsleistungen nicht allein durch Nachfragefaktoren (Demografie, Gesundheitszustand) erklärbar ist, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass Unterschiede in der Morbidität der Bevölkerungen mit den verfügbaren Daten möglicherweise nicht vollständig messbar sind. Neben der Frage nach den Determinanten regionaler Unterschiede spielt die Frage der Beeinflussbarkeit eine zunehmend wichtigere Rolle. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, ob es nicht sinnvoller ist, eher Netzwerke von Versorgern mit ihren zugehörigen Populationen anstelle von geografisch abgegrenzten Regionen zu fokussieren.

Die Regionalisierungsdebatte – ein Blick über die Grenzen

Florian Buchner, Fachhochschule Kärnten

Der Ausgleich regionaler Unterschiede wird in Deutschland im Zusammenhang mit dem Risikostrukturausgleich immer wieder diskutiert. Interessant ist da ein Blick auf die Nachbarländer Belgien, Niederlande und Schweiz sowie auf Israel. Es zeigt sich, dass es kurzsichtig wäre, die Ausgabenunterschiede, die nach Anwendung der in die Ausgleichsformel aufgenommenen (anderen) Risikofaktoren verbleiben, einfach pauschal auszugleichen. Unklar wäre nämlich, inwieweit man dabei ungewollte Risikoselektionsanreize und inwieweit man gewollte Effizienzanreize verringern würde. Auch wie eine Region zu definieren ist, ist eine entscheidende Frage, für deren Beantwortung die vorgestellten Länder sehr unterschiedliche Ansätze aufzeigen. Zudem ist die Möglichkeit einer regionalen Prämien- oder Beitragssatzdifferenzierung zu überlegen. Da die Datenlage in Deutschland bezüglich des Themas Regionalisierung schwierig ist und Entscheidungen auf politischer Ebene zu fällen sind, kommt dem ausstehenden RSA-Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats zu diesem Thema eine Schlüsselrolle zu.