Pflege-Report 2020
Neuausrichtung von Versorgung und Finanzierung
Der Pflege-Report, der in Buchform und als Open-Access-Publikation erscheint, nimmt jährlich relevante Themen der Versorgung Pflegebedürftiger unter die Lupe. Der Schwerpunkt des Jahres 2020 befasst sich mit der Neuausrichtung der pflegerischen Versorgung und Finanzierung. Hierbei werden zentrale Reformbereiche der heutigen Leistungs-, Steuerungs- und Finanzierungsstrukturen aufgegriffen und diskutiert.
15 Fachbeiträge beleuchten die Ursachen der nötigen Reformen, diskutieren hierbei bestehende Herausforderungen und zeigen Lösungswege auf, u. a.
- Historie und internationaler Vergleich
- Bedarfslagen von ambulant Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen sowie deren finanzielle und zeitliche Belastungen
- Möglichkeiten und Grenzen einer Leistungsdefinition und individuellen Leistungsbemessungen im Kontext der Langzeitpflege
- Steuerungsfragen an der Schnittstelle „Prävention und Rehabilitation und Pflege“, Steuerung durch Care- und Case-Management, kommunale Steuerung von individuellen Pflegeleistungen und Grenzen vertragswettbewerblicher Steuerung
- Pflegefinanzierung in regionaler Perspektive, Stärkung solidarischer Finanzierungselemente sowie ergänzende private Vorsorge
Zudem präsentiert der Pflege-Report Analysen zur Entwicklung der Pflegebedürftigkeit in Deutschland sowie zur Inanspruchnahme verschiedener Pflegeformen. Ein besonderer Fokus gilt der gesundheitlichen Versorgung in der ambulanten Pflege und im Pflegeheim
Inhaltsverzeichnis
TEIL I Schwerpunkt: Neuausrichtung von Versorgung und Finanzierung
Struktureller Reformbedarf in der Pflegeversicherung – ein Vierteljahrhundert nach ihrer Einführung
Robert PaquetVor einem Vierteljahrhundert wurde die Pflegeversicherung als neuer Zweig der sozialen Sicherung gegründet. Verbunden damit war die Entscheidung für bestimmte institutionelle Strukturen und Gestaltungsprinzipien. Einige davon haben einen engen Bezug zu aktuellen Problemen. Der Beitrag beschreibt die wichtigsten damaligen Weichenstellungen, wie die Entscheidung für eine Sozialversicherung, ihre Anbindung an die Krankenversicherung, für die Pflegeeinstufung durch den Medizinischen Dienst und zum Leistungssystem. Probleme der Qualität und Transparenz der Pflegeleistungen wurden erst später aufgegriffen und gesetzlich geregelt. Die Fragen der Investitionsfinanzierung der Heime und des Teilleistungs-Charakters der Pflegeversicherung hingen von Anfang an in der Luft. Die heute damit zusammenhängenden Probleme verweisen eher auf damalige „Nicht-Entscheidungen“ als auf bewusste Absichten: Politische Kompromisse haben die Pflegeversicherung immer schon geprägt. Abschließend werden die möglichen Lösungen für den vorhergesagten Anstieg des „Eigenanteils“ der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege diskutiert. Es gibt alternative Lösungsansätze zum „Sockel-Spitze-Tausch“ bzw. zum Übergang zu einer „Vollversicherung“.
Pflegesysteme im internationalen Vergleich
Markus Kraus, Sophie Fößleitner und Monika RiedelDie demographischen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden das deutsche Pflegesystem in den kommenden Dekaden vor große Herausforderungen stellen. Insofern lohnt ein Blick über die Grenzen Deutschlands, wie andere europäische Länder mit dieser Aufgabe umgehen. In diesem Zusammenhang wird die Ausgestaltung der Steuerungs-, Finanzierungs- und Leistungsstruktur im schwedischen, niederländischen und spanischen Pflegesystem beschrieben. Darauf aufbauend werden die mit der unterschiedlichen Ausgestaltung der einzelnen Pflegesysteme einhergehenden Anreize theoretisch ausgeführt und die daraus gewonnenen Erkenntnisse im Kontext des deutschen Pflegesystems diskutiert. Dieses bietet aufgrund der zentralen Steuerungsstruktur und der daraus resultierenden einheitlichen Leistungsstruktur Anreize für hohe Verteilungsgerechtigkeit. Ebenso sind Weichen für hohe allokative Effizienz gestellt, da die Finanzierung aus einer Hand keine Anreize zu einer Leistungsverschiebung birgt. Als Nachteil der monistischen und allein an Arbeitseinkommen anknüpfenden Finanzierung kann die Tendenz zu Unterversorgung gesehen werden.
Zur Organisations- und Finanzierungszuständigkeit von häuslicher Krankenpflege (SGB V) und medizinischer Behandlungspflege (SGB XI)
Antje Schwinger und Chrysanthi TsiasiotiWährend ein ambulant Pflegebedürftiger heute Behandlungspflege als Sachleistung der Krankenversicherung erhält, zahlen vollstationär Versorgte, für welche die Pflegeversicherung Finanzierungsträger ist, die gleichen Leistungen anteilig selbst. Diese seit nunmehr 25 Jahren fortwährende Ungleichbehandlung bedarf einer Lösung. Hinzu kommt ein Auseinanderdriften der Rahmenbedingungen auch innerhalb der durch die Pflegeversicherung finanzierten ambulanten und vollstationären Pflege, welches eine generelle Neuordnung des Leistungsgeschehens unabhängig vom Ort der Leistungserbringung erforderlich macht. Oberstes Ziel aller Reformanstrengungen muss es sein, die medizinische Behandlungspflege sektorübergreifend einheitlich bei der GKV oder der SPV anzusiedeln. Eine automatische Gleichsetzung der medizinischen Behandlungspflege als GKV-Leistung ist aber zu hinterfragen, da diese auch in der SPV als „Vollleistung“ implementiert werden kann. Wünschenswert wäre, dass Fragen nach den Steuerungsmöglichkeiten und der besseren Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung in der Reformdiskussion einen höheren Stellenwert erhalten, als dies heute der Fall ist. Mit Blick auf das Finanzvolumen, welches bei einer Aufhebung der gesplitteten Finanzierungsverantwortung jeweils verlagert würde, ist ferner eine verbesserte Empirie angeraten.
Bedarfslagen in der häuslichen Pflege
Andreas BüscherEin erklärtes Ziel der Pflegeversicherung besteht in der Priorität der häuslichen gegenüber der stationären Pflege. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht die Pflegeversicherung eine Reihe von Leistungen vor, die in Ergänzung der Pflege durch Angehörige den Verbleib des pflegebedürftigen Menschen in der häuslichen Umgebung ermöglichen sollen. Die Betrachtung einiger Charakteristiken häuslicher Pflegearrangements verdeutlicht, dass die Bedarfslagen oftmals komplexer sind als die vorgesehenen Leistungen und diese nur für Teile davon angemessen erscheinen. Veränderungen und Erweiterungen des Leistungsspektrums der Pflegeversicherung im Laufe der Jahre verdeutlichen das Bemühen die Leistungen weiterzuentwickeln. Die Bedarfslagen in häuslichen Pflegearrangements erfordern jedoch weitere Anpassungen, auch durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die abschließend in diesem Beitrag skizziert werden.
Was leisten ambulante Pflegehaushalte? Eine Befragung zu Eigenleistungen und finanziellen Aufwänden
Miriam Räker, Antje Schwinger und Jürgen KlauberDie Mehrzahl der Pflegebedürftigen wird auch heute in der eigenen Häuslichkeit unter Einbindung unterschiedlicher Hilfen versorgt. Mit Hilfe einer Online-Befragung wurden rund 1.100 Hauptpflegepersonen zu den aufgebrachten finanziellen und zeitlichen Eigenleistungen befragt. Die Analysen zeigen auf, dass die ambulante Pflege maßgeblich durch die Hauptpflegeperson und weitere in die Pflege eingebundene Personen getragen wird. Es zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen Belastungsfaktoren bezogen auf das Vorliegen einer Demenz sowie der Pflegeschwere und der selbst geleisteten Pflege und Betreuung. Privat aufgewendete finanzielle Mittel werden nur von jedem Vierten der Befragten angegeben. Diese privaten Aufwendungen sind ebenfalls bei Haushalten mit demenziell Erkrankten überdurchschnittlich hoch und steigen mit dem Pflegegrad an. Einkommen, Bildung oder Erwerbstätigkeit hingegen haben keinen signifikanten Einfluss auf die privat aufgewendeten finanziellen Mittel. Wenn auch die Mehrzahl der Pflegehaushalte die Situation bewältigen kann, zeigen bis zu einem Viertel der Haushalte hohe Belastungswerte. Die Erhebung rückt damit Fragen nach gezielter Unterstützung und einem differenzierten Leistungszuschnitt in den Fokus.
Möglichkeiten und Grenzen einer Leistungsdefinition und individuellen Leistungsbemessung im Kontext Langzeitpflege
Heinz Rothgang, Thomas Kalwitzki und Janet CordesDie Ausgestaltung der Pflegeversicherung als nicht bedarfsdeckendes Teilleistungssystem steht zunehmend unter Reformdruck. Die pauschalierte Leistungsgewährung führt dazu, dass im stationären Sektor eine wachsende Lücke zwischen pflegebedingten Kosten und den Leistungen der Pflegeversicherung entsteht und im ambulanten Sektor aus dem gleichen Grund von einer kompensatorisch eingeschränkten Leistungsinanspruchnahme auszugehen ist. Beide Effekte werden zwar zu Recht als Problem des Umfangs der Versicherungsleistungen dargestellt, diese sind jedoch letztendlich Konsequenz einer fehlenden individuellen Bedarfsorientierung. Die Autoren schlagen daher vor, eine Finanzreform der Pflegeversicherung direkt mit einer Strukturreform zu verbinden, die eine bedarfsorientierte Pflege in jeder Wohnform ermöglicht. Hierzu ist es erforderlich, die übernahmefähigen Leistungen/Leistungsbereiche der Pflegeversicherung unabhängig vom Ort der Erbringung zu definieren und mit einem einheitlichen Preisschema zu hinterlegen. Anhand dieses Kataloges wird es möglich, die individuell bedarfsorientierte Leistungsmenge zu bemessen und den Pflegebedürftigen zuzuordnen. Dies kann zudem genutzt werden, um das Pflegegeld des heutigen Zuschnitts zu einem Cash-for-Care-System für die Pflegepersonen weiterzuentwickeln.
Von der Schwarzarbeit zum „grauen Markt“ – und darüber hinaus? Neuere und künftig notwendige Entwicklungen der sog. 24-Stunden-Pflege
Bernhard Emunds und Simone HabelIn der häuslichen Pflege durch migrantische Live-in-Pflegekräfte hat sich in den beiden letzten Jahrzehnten neben einem Schwarzmarkt auch ein „grauer Markt“ mit verschiedenen Formen der partiellen rechtlichen Formalisierung etabliert. Hierbei erweisen sich in allen derzeit bestehenden Modellen die extrem ausgedehnten Arbeitszeiten in rechtlicher und ethischer Hinsicht als größte Herausforderung. Daher bedarf es einer Weiterentwicklung hin zu einer arbeits- und sozialrechtlichen Gleichstellung dieser Erwerbstätigkeit. Einer solchen Entwicklung stehen jedoch gesellschaftliche Faktoren – wie die Naturalisierung weiblicher Sorgearbeit – entgegen.
Die Pflegeversicherung: eine vertragswettbewerbsfreie Zone
Klaus JacobsDer Beitrag befasst sich mit der Frage, inwieweit vertragswettbewerbliche Steuerung zur Verbesserung der Pflegeversorgung beitragen kann. Hierzu wird die Konzeption der Solidarischen Wettbewerbsordnung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) betrachtet und ein Blick auf die Erfahrungen gerichtet, die dort seit der Einführung von freier Kassenwahl und Risikostrukturausgleich mit vertragswettbewerblicher Versorgungssteuerung gemacht wurden, bzw. auf die Gründe, warum es in dieser Hinsicht kaum positive Erfahrungen gibt. Vor diesem Hintergrund fällt die Beurteilung der Zweckmäßigkeit vertragswettbewerblicher Steuerung in der Pflegeversicherung negativ aus. Insbesondere ist im Pflegekontext eine wesentliche Funktionsbedingung der GKV-Wettbewerbskonzeption nicht hinreichend erfüllt: die Fähigkeit der (überwiegend alten, multimorbiden und oftmals zudem kognitiv beeinträchtigten) pflegebedürftigen Versicherten zur individuellen Kassen- bzw. Tarifwahl. Außerdem gibt es bislang kein Konzept zur Ausgestaltung eines pflegekompatiblen Risikostrukturausgleichs. Dieser Befund unterstreicht gleichzeitig die Skepsis gegenüber der Forderung nach einer Integration von Pflege- und Krankenversicherung.
Geriatrische Rehabilitation – Aktueller Stand und zukünftige Entwicklung
Clemens Becker, Ramona Auer, Kilian Rapp, Stefan Grund und Jürgen M. BauerAufgrund des demographischen Wandels steigt die Zahl hochbetagter, multimorbider Menschen mit Rehabilitationsbedarf und -potenzial. Dieser Entwicklung wurde bereits in den 90er Jahren durch die Unterstützung der geriatrischen Rehabilitation begegnet. Mit ihren diversen Ausgestaltungen hilft diese, die rehabilitativen Bedarfe älterer Menschen in den verschiedenen Versorgungssektoren abzudecken. Dabei erfolgt die gut etablierte und wissenschaftlich fundierte stationäre geriatrische Rehabilitation häufig nach einem akutstationären Aufenthalt. Demgegenüber unterstützt die ambulante und mobile geriatrische Rehabilitation die Versorgung im prä- und poststationären Sektor. Aktuelle Zahlen belegen die Entwicklungsdynamik in diesem Bereich. Der derzeitige Entwicklungsfokus liegt auf der Optimierung präventiver und rehabilitativer Maßnahmen im ambulanten Bereich sowie im stationären Pflegebereich. Unterstützt wird dies durch zahlreiche Innovationsfonds-Projekte des G-BA und durch eine europaweite Zusammenarbeit. Zudem gilt es Gesetze zur Stärkung der Teilhabe älterer Menschen besser umzusetzen.
Vom Markt und den Sorgen – sollen individuelle Pflegeleistungen kommunal gesteuert werden?
Thomas Pfundstein und Marcus BemschDie gesetzliche Pflegeversicherung als individuelle Teilkaskoversicherung des Risikos der Hilfe- und Pflegebedürftigkeit hat sich seit der Einführung 1995 als staatlicher Beitrag zur Stärkung und Sicherung der familiären Unterstützungsleistungen verstanden. In den letzten 25 Jahren hat das System eine deutliche Ausweitung erfahren und ist inzwischen zum dominanten Sicherungssystem der Unterstützung und Hilfen im Alter geworden. Angesichts des demografischen und soziostrukturellen Wandels und der damit verbundenen steigenden Bedarfe wurde und wird die Pflegeversicherung kritisiert, mit dem wachsenden Bedarf nicht schritthalten zu können. Insbesondere die aktuelle Kritik sieht im Fachkräftemangel und den steigenden privaten Kosten der Pflege ein Versagen des Marktprinzips der Pflegeversicherung. Gefordert werden eine bessere Gesamtkoordination der sozialen Leistungen im Alter und ein stärkerer Einfluss der Kommunen. Der Beitrag analysiert die bisherigen Entwicklungen, zeigt verpasste Chancen auf und spricht sich für eine stärkere Sozialraumorientierung und kommunale Koordination aus.
Care und Case Management – Steuerung im Kontext von Pflegebedürftigkeit
Thomas KlieMit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz 2008 hat der Gesetzgeber Care und Case Management-Strategien sowohl in das Leistungsrecht als auch in die Strukturvorgaben der Pflegeversicherung aufgenommen. Angesichts der Unübersichtlichkeit der Hilfestrukturen, insbesondere im Zusammenhang mit Schnittstellen zwischen den Sektoren oder auf der Fallebene, wurden ein Rechtsanspruch auf Pflegeberatung gemäß § 7a SGB XI im Sinne von Case Management eingeräumt und für Vernetzungs- und Koordinationsstrukturen im Sinne des Care Managements bundesgesetzliche Rahmenbedingungen und Aufgabenbeschreibungen formuliert. Case Management-Arbeitsansätze können in der Lage sein, die in der deutschen Pflegeversicherung eher vernachlässigte Personenzentrierung stärker zu betonen. Ein Care und Case Management lege artis verschränkt systematisch die Fall- mit der Systemebene. Dass dies in der Praxis in Deutschland fast nirgendwo konsequent umgesetzt wird, arbeitet der Beitrag ebenso heraus wie die Steuerungsfunktionen des Care und Case Managements, die verbunden werden müssen mit systematischen Monitoring-Instrumenten und Planungsprozessen auf regionaler und kommunaler Ebene. Care und Case Management-Strukturen in der Langzeitpflege sind alternativlos, aber zugleich voraussetzungsvoll.
Steuerungsinstrumente für Einrichtungen: Innovative Ansätze zur Steuerung der Leistungserbringung
Uwe BettigDer wesentliche Ansatz zur Steuerung der Leistungserbringung ist der optimale Einsatz des Personals auf allen Ebenen. Diesem Ansatz liegen zwei in diesem Beitrag vorgestellte Befragungen zugrunde. Untersucht wurde in Berliner und Brandenburger Einrichtungen, inwieweit das Personalmanagement diesen optimalen Einsatz des Personals zu erreichen versucht. Beide Befragungen zeigen, dass sich das Personalmanagement in stationären Pflegeeinrichtungen immer mehr strategisch auf diese Herausforderung einstellt, aber nicht alle Steuerungsinstrumente nutzt, die sinnvoll sein können. Zwei dieser möglichen und sinnvollen Steuerungsinstrumente werden vorgestellt. Das Kompetenzmanagement, das in anderen Branchen etabliert ist, hilft u. a. das Personalmanagement nachhaltiger auszurichten. Die verstärkte Betrachtung der Prozesse unter Einbeziehung der Mitarbeiterperspektive als zweites vorgestelltes Instrument hilft, die Mitarbeiterzufriedenheit und letztlich auch die Bewohnerzufriedenheit zu erhöhen.
Pflegefinanzierung in regionaler Perspektive: Ergebnisse eines Vier-Länder-Vergleichs zu den Selbstkosten der stationären Langzeitpflege
Dietmar HaunThema des Beitrags sind die unterschiedlich hohen Eigenanteile an den Kosten der stationären Langzeitpflege zwischen den Bundesländern. Ausgehend von diesen Unterschieden werden für vier Bundesländer die Kosten der stationären Heimpflege systematisch hinsichtlich der Strukturmerkmale ihrer Pflegeheime und der Determinanten ihrer regionalen Kostenvariation untersucht. Die Ergebnisse der empirischen Analysen mit Daten des AOK-Pflegeheimnavigators für das 4. Quartal 2019 belegen eine teilweise fast ebenso hohe Variation der Selbstkosten innerhalb der Länder als zwischen diesen. Je nach Bundesland gibt es hohe Kostenunterschiede zwischen städtischen und ländlichen Kreisregionen, großen und kleinen Einrichtungen und in erheblichem Ausmaß zwischen den privaten Heimträgern und den anderen Trägerorganisationen. Für eine Bewertung der Auswirkungen verschiedener Reformmaßnahmen bieten die Ergebnisse zum Status quo der Selbstkosten einen guten Aufsatzpunkt. Allerdings legen die Befunde nahe, dass weiterer Forschungsbedarf bezüglich der einzelnen Ursachen der Kostenunterschiede besteht, um Wirkungen des geplanten Personalbemessungsverfahrens und des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes auf die Eigenanteile solide einschätzen zu können.
Ausbau solidarischer Finanzierungsoptionen in der Pflegeversicherung. Führt der Weg zur Pflegebürgerversicherung?
Markus LüngenDie Umsetzung einer Pflegebürgerversicherung ist eine Option, um insbesondere die Einnahmenseite der Pflegeversicherung zu stabilisieren. Der Beitrag untersucht, welche Hürden existieren und inwieweit deren Ursachen in den fehlenden Methoden bzw. Daten oder aber in der politischen Umsetzung oder juristischen Aufarbeitung liegen. Festgehalten werden kann, dass die Ausgestaltung eines Risikoausgleichs zwischen Sozialer und Privater Pflegeversicherung die komplexeste methodische Herausforderung darstellen dürfte. Andere Bereiche, wie die Verbeitragung aller Einkommensarten, die Einbeziehung der Kapitalansparungen und die Festlegung der Beitragsbemessungsgrenze, scheinen eher politische und/oder rechtliche Herausforderungen darzustellen. Die vorliegenden quantitativen Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Ausweitung des Versichertenkreises in einer Pflegebürgerversicherung bewirken würde, dass sich der Beitragssatz um rund 0,3–0,4 Prozentpunkten reduzieren ließe.
Ergänzende private Vorsorge für den Fall der Pflegebedürftigkeit – Stand und Perspektiven
Martin Albrecht und Richard OchmannZur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit gelten wegen seiner starken Altersabhängigkeit private, kapitalbildende Vorsorgeformen als besonders geeignet. Fehlende private Vorsorge belastet die Träger der subsidiären Sozialhilfe – ein wesentlicher Grund für die Einführung der sozialen Pflegeversicherung. Angesichts der hohen und steigenden finanziellen Eigenanteile der Pflegebedürftigen wird diskutiert, den Versicherungsumfang der sozialen Pflegeversicherung auszuweiten. Wegen der Art der gegenwärtigen Beitragsfinanzierung wäre dies verteilungspolitisch und unter Nachhaltigkeitsaspekten fragwürdig. Andererseits können private Pflegezusatzversicherungen die entstehenden Sicherungslücken kaum füllen. Notwendig sind daher neue Ansätze, um die wachsenden privaten Sparguthaben und Vermögenswerte stärker auch für die Pflegefinanzierung einzusetzen.
Teil II Daten und Analysen
Pflegebedürftigkeit in Deutschland
Sören Matzk, Chrysanthi Tsiasioti, Susann Behrendt, Kathrin Jürchott und Antje SchwingerDer Beitrag liefert ein ausführliches Bild zum Stand der Pflegebedürftigkeit und der gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen in Deutschland. Die Analysen basieren auf GKV-standardisierten AOK-Daten. Sie zeigen Prävalenz, Verläufe und Versorgungsformen der Pflege sowie Kennzahlen zur gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen. Im Fokus stehen die Inanspruchnahme von ärztlichen und stationären Leistungen, Polymedikation und Verordnungen von PRISCUS-Wirkstoffen und Psychopharmaka. Die Ergebnisse werden der Versorgung der Nicht-Pflegebedürftigen gleichen Alters gegenübergestellt und differenziert nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungssetting ausgewiesen